Samstag, 3. Oktober 2009

Warten von Helena K.

Ich bin ein Kind kurz vor Weihnachten, ein Mönch vor der Erleuchtung,

ein Reisender auf einem Bahnsteig.

Ich bin ein Paar kurz vor dem Höhepunkt und ein Junkie kurz vor dem Trip.

Ich sitz hier und warte auf das Leben, wo bleibt es nur?

Ich warte auf dich, jetzt beeil dich doch mal,

damit ich in Ruhe ein Weilchen weiter warten kann.

Ich warte auf die große Party, wo alles bunt und hell und laut ist.

Ich warte mich von Tag zu Tag.

Ich warte auf das, was sie Selbstverwirklichung nennen, auf die große Liebe,

auf den ersten, zweiten, dritten Frühling. Ich warte auf ein Ding, das die Leere füllt.

Ich warte auf den Bausparvertrag, auf Mann, Kinder und Eigenheim,

(man hat mir gesagt, diese Dinge seien erstrebenswert).

Ich warte auf Visionen und Bewegungen, auf das verdammte Glück,

und vor allem auf den Sinn, den das alles haben soll, dieses Leben. Den Sinn.

Ich warte auf ein Ende des Wartens.

Ich warte auf alles, was die Welt mir versprochen hat

Als ich zu ihrem Bewohner wurde.

Ich warte auf die finanzielle Sicherheit, den guten Wein,

Auf die Senseo-Kaffeemaschine und den englischen Garten.

Auf die ganz große Zukunft.

Ich warte auf den Wind in meinem Haar und auf die Träume.

Denn sie haben mir gesagt: "Warte."

Sie sagten: "Du hast die besten Jahre deines Lebens vor dir."

Sie haben mir gesagt: "Das wird eine geile Zeit."

Als ich klein war haben sie mir gesagt: "Warte, bist du groß bist. Dann fängt das Leben an."

Dann war ich groß und sie sagten: "Warte, bist du reif bist. Dann fängt das Leben an."

Und wenn ich dann reif bin werden sie sagen: "Mit 66 Jahren fängt das Leben an."

Und wenn ich dann tot bin….

Dann sind alle Züge abgefahren. Klappe zu, Affe tot.

Ende im Gelände. Und das Warten hat sich nicht gelohnt.

Dann wird irgendwo lachend das Leben aufkreuzen und sagen:

"Ich hab's dir ja gesagt. Während du auf mich gewartet hast,

hab ich mir mal ein bisschen Urlaub genommen

und es mir in deinen Träumen gemütlich gemacht

In einer Hängematte aus vernachlässigten Plänen."

Und während ich kapiere, dass alles, worauf ich gewartet habe,

meilenweit hinter mir liegt, hör ich noch das Lachen des Lebens in mir widerhallen.

"Die Züge sind abgefahren. Klappe zu, Affe tot.

Ende im Gelände. Und das Warten hat sich nicht gelohnt."

Und ich denke, tja, das war's dann wohl.

Ich mach die Tür von außen zu.

Dann falle ich und warte auf den Aufprall.

Ich warte und warte.

Bis ich aufwache und weiß, was ich tun muss.

1 Kommentar:

  1. Lieber Dati!
    Ich habe einen Kreativ-Award für dich. Die Idee deines Blogs hat es verdient ;)

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