Montag, 12. Oktober 2009

Kurzgeschichte 1. Teil

Anfang. Begrüßung. Wie immer saß er auf seinem Platz. Es war derselbe wie am Tag zuvor. Jede Sitzung war es derselbe. Früher waren die einzelnen Sitzungen länger und mühsamer. Nun saß er einfach. Einen Stuhl oder Tisch, den er herunterklappen sollte, gab es nicht. Listen zum eintragen erst recht nicht. Er hatte nun aufgehört, zu tun und saß wie jemand der sitzen konnte. Zeit war unwichtig, sie war im Laufe der Zeit relativ geworden. Viertel Stunden begannen und endeten alle 15 Minuten. Der Ausdruck "zu spät" explodierte, mit der Bahn fuhr er nicht mehr und wo sein Rucksack lag, war längst egal. Am Anfang hatte er ein Schild vor sich aufgestellt, so dass die Leute es sehen mussten. Es war aber erfolglos und inzwischen kannten sie ihn und wussten, was er wollte. Er hatte auch kein Schreibzeug mehr. Er wurde von seinem Platz gefunden. Die Menschen gingen und sahen, wie sich sein Platz irgendwann an ihn gewöhnte zwischen all den anderen Plätzen und auch sie gewöhnten sich an ihn, bis er es schließlich selbst tat. Er trug nie viel mit sich herum und wusste, er würde nie viel tragen oder haben müssen. Und es war nicht das Schlimmste. Beim Essen und Trinken benutze er die Finger, machte laute Geräusche, atmete es ein, schmatze und schneuzte zufrieden vor sich hin. Im Reinen, sagte er, war er mit sich.

Früher hatte er oft die vorbeigehenden Massen betrachtet, sah ihnen zu, wie sie rannten und hetzten, immer sehr beschäftigt, telefonierend oder in Bücher schauend. Aber er sah mehr in ihren Gesichtern, wie sie auf ein Bestimmtes etwas zuliefen, sich ihre Schritte schnell aber gewollt den Weg entlang fraßen, zu Hunderten und mehr und manchmal musste er lachen, wie sie alle wie Ameisen aus einem einzigen Loch kamen und sich in Richtung der großen Gebäude kämpften, nie zur Seite oder gar einen Anderen anschauend, nur auf ein Ziel gerichtet, wie sie wettliefen. Früher war er mit Ihnen gelaufen, aber es reichte nicht. Manchmal beobachtete er sie Wochenlang, jeden Tag auf den Weg zu ihren Sitzungen. Er sah ihnen zu und wenn es eine Gelegenheit gab, rasierte er sich oder wusch sich den Dreck unter den Nägeln. Danach bekam er Durst und trank. Irgendwann würde er auch hingehen. Einfach mitlaufen. Woran sollten sie es merken? Er holte eine kleine Flasche aus der Innentasche seines Mantels und nahm einen weiteren großzügigen Schluck. Trank sich innere Farben an. Nicht weil er es brauche oder so, sondern einfach, weil er es genoss, weil es ihm schmeckte und er sich besser fühlte.

Saß er nicht, ging er. Immer zu Fuß. Langsam stand er dann auf und blickte noch einmal um sich. Trank. Atmete. Ein Ziel gab es nicht, wo solle er schon hingehen. Durch sein Gehen, ließ er die Zeit laufen. 10 Jahre waren bereits verlaufen. Dabei schaute er in die Mülltonnen, kramte in ihnen mit seinen Fingern und es war wie das Laufen. Nichts, das er finden wollte.

Beim Gehen sah er wieder die Menschen an, suchte Blickkontakt. Dieses war das Lustigste. Er schritt an Ihnen vorbei und schrie plötzlich oder lachte schrill. Einige wenige zeigten offensichtlich, was sie empfanden und es wunderte ihn, dass sie empfanden. Die Meisten gingen einfach weiter. Er dachte: Ameisen. Tote.

Früher bedankte er sich noch bei allen. "Hab Dank", sagte er einige Male. Aber wenn man schon gab, dann wollte man auf keinen Fall mit ihm reden. Erst dann begriff er, dass er genau das tun sollte. Wenn er sprach oder ging oder sonst was tat, war es nicht gut. Im Bus sah man ihn nur allzu ungern. Wenn er seinen Platz auf der Decke hatte, war es gut. Ein Hund wäre noch besser gewesen. Er verstand, dass er gar nicht zu betteln brauchte und dass sie ihm auch keine Spenden gaben. Sie gingen, sahen ihn auf seinem Platz und warfen ihm was hin. Als ob es ihn nicht gebe, rennen sie hektisch weiter. Sie taten das gar nicht für ihn, sie warfen die Münzen für sich selbst dahin und deshalb brauche er sich auch nicht mehr zu bedanken. Sie spendeten nicht, sondern bezahlten ihn, bezahlten dafür, dass er nichts tat, seine Zeit hortete und sie waren dankbar für sein Nichtstun. Es zeigte ihnen, dass sie was schafften und sie fühlten sich toll, nachdem sie das Geld geworfen hatten. Er wusste, früher oder später kam jeder zu ihm und bezahlte: Sie wollten sich ein wenig von seiner Ewigkeit leihen. Alle hatten Gebühren, niemand einen Moment. Nur einmal protestierte einer: "Deine Zeit möcht ich haben, aber ich muss zur Uni". Dann bezahlte auch er und lief. Die nächste Bahn hatte gehalten, wieder waren Hunderte Ameisen ausgestiegen. Er würde bestimmt nicht auffallen.

5 Kommentare:

  1. mir gefällt sehr gut, dass es so anonym und doch persönlich zugleich ist.
    Lieblingsstelle =): Trank sich innere Farben an.

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  2. Du hattest ja nach meiner Meinung gefragt, hier erstmal ein paar Details:
    -"Er hatte nun aufgehört, zu tun und saß wie jemand der sitzen konnte."
    Da fehlt ein Wort, oder irre ich mich?
    -"Dieses war das Lustigste."
    Der Satz wirkt total gestelzt durch "dieses". Auch der Superlativ von "Lustig" ist im Sprachgebrauch eigentlich ziemlich ungewöhnlich behaupte ich mal. Ich würde eher "Das war immer lustig" schreiben.
    -"Als ob es ihn nicht gebe, rennen sie hektisch weiter." Kleiner Rechtschreibfehler bei gäbe.

    Zum Inhalt:
    Ich mag die Geschichte soweit, auch wenn sie wenig Handlung trägt. Aber ich mag die gerade deshalb, denn es schwerer (finde ich) eine Momentaufnahme zu gestalten, als einen Handlungsablauf zu schreiben. Für mich könnte die Kurzgeschichte nach diesem Teil aber auch gut schon aufhören, denn sie wirkt sehr vollendet. Ich habe das Gefühl, die Idee hinter dem Text ausreichend zu verstehen.

    Zur Sprache:
    Ich hoffe, dass wirkt jetzt nicht wie ein Angriff auf dich, aber kann es sein, dass Deutsch nicht deine Muttersprache ist? Die Sätze wirken sehr übersetzt und sind manchmal etwas "künstlich" bzw. kompliziert.
    Wenn du diesen Stil beabsichtigst, um den Leser etwas zu verunsichern oder zu zwingen hin und her zu lesen, dann ist es allerdings perfekt.

    Da Cara ihre Lieblingstelle markiert hat, mache ich das auch mal:
    "Alle hatten Gebühren, niemand einen Moment."

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  3. Vielen Danke erstmal für die Mühe. Es ist immer schwierig, sich ehrliche Kritik einzuholen...

    Also Deutsch ist auf jeden Fall meine Muttersprache :), und tatsächlich wollte ich, dass es sehr gekünztelt wirkt, dass der Leser gezwungen wird manches mehrmals zu lesen. War also wirklich Absicht.

    Damit klären sich vielleicht auch ein Paar der Details: Zum Beispiel fehlt in "Er hatte nun aufgehört, zu tun" kein Wort, sondern soll gezielt so bruchstückhaft klingen, genauso wie der Satz "Dieses war das Lustigste" verständlicher Weise total gestelzt wirkt. Ich hatte eigentlich gehofft, dass das modeliert und künstliche Wirkende auch an anderen Sätzen wie "Durch sein Gehen, ließ er die Zeit laufen. 10 Jahre waren bereits verlaufen" oder "Im Reinen, sagte er, war er mit sich" deutlich wird. Das weicht tatsächlich von dem normalen Deutsch ab.

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  4. Also Danke nochmal,
    übrigens habe ich eine fürchterliche Rechtschreibschwäche in all meinen Werken...

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  5. Bitte. Die anderen beiden Teile lese ich auch, als bald ich Zeit finde.

    Freu dich, du hast es super geschafft mich auf die falsche Fährte zu führen. Dein Text funktioniert.

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